Gewissensbisse – Triebkraft oder Quälgeist?


    Mit spitzer Feder …


    (Bild: zVg)

    Jeder kennt es: Das schlechte Gewissen. Das Gefühl, dass man einen kleinen Mann im Kopf hat,– ich nenne ihn den Quälgeist – der einem sagt, dass man ein ganz schlechter Mensch ist. In schlimmeren Fällen tritt der kleine Mann einem dabei fest in den Bauch, so dass sich der Magen zusammenkrampft. Auch bei mir war das schlechte Gewissen einst Dauergast. Früher fand ich oft, ich könnte, nein: müsste effizienteBedürfnisse

    r sein, organisierter – eine bessere Journalistin, Tochter, Tante, Freundin etc. Noch immer habe ich zum Beispiel einen Druck auf der Brust, wenn ich an meinen einsamen Vater denke und kann meine Bedürfnisse nur schwer ohne schlechtes Gewissen durchsetzen. Auch was mein Zeitmanagement bezüglich meiner Liebsten betrifft, stimmen manchmal Soll und Sein nicht überein. Doch seien wir ehrlich: «Ein Leben ohne schlechtes Gewissen, das wäre das Gleiche wie Omelette zu backen, ohne Eier zu schlagen. Kein Mensch ist perfekt und wird allen Ansprüchen gerecht, sagt meine Psychiaterin jeweils. Wir alle sind verstrickt in dieser Welt voller Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten. Wie soll man da kein schlechtes Gewissen haben? Ich denke das schlechte Gewissen ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Für eine funktionierende Gesellschaft ist das Gewissen unabdingbar. Ohne das Gewissen würde Chaos herrschen. Nur wenn wir uns an gemeinsame Normen halten und unser Handeln danach ausrichten, können wir überhaupt zusammenleben. Das schlechte Gewissen ist ein schwer greifbarer und dennoch ständiger Begleiter in unserem Leben und manchmal auch eine mächtige Triebkraft. Ein Gewissen haben, bedeutet, sich selbst, eigene Handlungen oder einfach nur Vorgänge zu hinterfragen. Das schlechte Gewissen regt sich, wenn wir mit dem Nachbarn flirten, wenn wir unser Budget überspannen oder wenn wir auf Social Media Bilder anschauen: Sollten wir nicht dünner, schöner und erfolgreicher sein? Es flüstert aus der katholischen Kirche, dass wir ewig Sünder seien, es leuchtet aus dem Laptop, wenn wir spätnachts noch Büromails beantworten oder es blinkt auf dem Cockpit, wenn wir vor einem Fussgängerstreifen nicht vorschriftsgemäss angehalten haben!

    Doch die Stimme, die uns zuraunt, dass wir etwas Falsches getan haben, ist unsere eigene – der Quälgeist in uns. Er ist geprägt und geschult durch die Normen und Regeln, die wir in unserem Leben seit Kindsbeinen erlebt und erlernt haben. Die Einen haben einen sehr lauten inneren Quälgeist, wie ich (mal). Und hören die korrigierende Stimme den ganzen Tag. Andere haben einen faulen Drangsalierer – er wird erst geweckt, wenn alle Alarmglocken klingen, ernsthaft Konsequenzen drohen. Fehlt das schlechte Gewissen wird es gefährlich und krank: So haben Narzissten selten Schuldgefühle, weil sie die Schuld stets bei anderen suchen. Auch bei Psychopathen, deren Empathie und soziale Verantwortung fremd ist, sucht man Schuldgefühle vergebens. Während die meisten schon ein schlechtes Gewissen bekommen, wenn sie einen Termin vergessen, können diese Menschen vergewaltigen und morden und anschliessend in einem Restaurant gemütlich essen gehen, als wäre nichts geschehen. Ebenso gibt es Unterscheide zwischen den Geschlechtern: Wir Frauen sind öfters vom schlechten Gewissen geplagt, Männer hingegen drucksen herum, konkrete Beispiele und Antworten bringen sie ungern. Ein schlechtes Gewissen haben sie – wenn sie einen Geburtstag vergessen, jedoch kaum wenn sie ihre Frau betrügen.

    Irgendetwas bleibt immer auf der Strecke – irgendwer ist immer beleidigt und das und jenes habe ich schon wieder nicht gemacht! Doch das schlechte Gewissen halte ich im Zaum, obwohl ich als sehr pflichtbewusster und empathischer Mensch anfällig für Schuldgefühle bin und den Fehler gerne zuerst bei mir suche. Ich habe mein schlechtes Gewissen also abgeschafft. Bitte nicht falsch verstehen, ich habe natürlich nicht mein Gewissen abgeschafft, sondern nur das schlechte Gefühl, das mich ereilt, wenn ich von innen wie von aussen Botschaften erhalte, die mir suggerieren ich würde meine Grenzen überschreiten. Ich habe entschieden, wenn mich etwas mit Freude erfüllt, mich echt interessiert und ich es für relevant halte, dann widme ich mich dieser Aufgabe, egal ob es privater oder beruflicher Natur ist. Dann setze ich meine Zeit bewusst ein und treibe die Dinge so weit voran, wie es geht. Das erfüllt mich und verschafft mir Zufriedenheit. Übrigens – der Königsweg beim schlechten Gewissen ist, sich die inneren Wertkonflikte, Prägungen und heutigen Prioritäten bewusst zu machen und dann so konsequent wie möglich zu handeln. Klappt das nicht, dann umarmen Sie den Quälgeist einfach!

    Herzlichst,
    Ihre Corinne Remund
    Verlagsredaktorin

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